Atrato Fest 2022
Wusstest du, dass es in Kolumbien einen Fluss mit eigenen Verfassungsrechten gibt?
Im Jahr 2016 hat das kolumbianische Verfassungsgericht dem Atrato-Fluss die Kategorie als eigenständiges "Rechtssubjekt" zuerkannt. Dieser majestätische Fluss entspringt in der westlichen Andenkette und mündet nach 750 Kilometern ins Karibische Meer. Sein Einzugsgebiet umfasst mehr als 150 Nebenflüsse, die ihm seine Kraft und Stärke verleihen und ihn zur wichtigsten Lebensader des kolumbianischen Chocó-Regenwaldes machen.
In diesem Einzugsgebiet leben ethnische Gemeinschaften (Afro, Indigene und Mestizen), die vom Wasser des Flusses leben und abhängig sind. Sie sind ein amphibisches Volk. Egal zu welcher Tageszeit man am Fluss entlangfährt, baden und spielen Kinder darin. Der Fluss ist die Dusche, er ist das Wasser im Kochtopf, er ist die Quelle für den Fisch, der Teil der Ernährungssicherheit dieser Gemeinden ist. Der Fluss ist das Transportmittel (es gibt dort keine Straßen), er ist der Ort des Lebens, und inmitten eines bewaffneten Konflikts kann er auch der Ort des Todes sein!
Diese Gemeinden, die weder Trinkwasser noch Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung haben, leben und leiden inmitten eines bewaffneten Konflikts, der manchmal den Fluss sperrt. Bewaffnete Akteure blockieren den Fluss, und die Gemeinden sind eingesperrt und können nicht hinausgehen, um Produkte zu kaufen oder zu verkaufen, zum Arzt oder zur Schule zu gehen. Diese illegalen Gruppen fördern auch den illegalen Goldabbau. Ohne jegliche Regulierung verwenden sie große Bagger, um die Erde aus dem Fluss zu entfernen und mit schädlichen Substanzen wie Quecksilber das gewünschte Gold zu gewinnen. Das Gold ist weg und der Giftmüll bleibt im Wasser, in den Fischen, im Flussbett und in den Körpern der Menschen.
Aus diesem Grund verklagten die organisierten Gemeinschaften den kolumbianischen Staat, weil er es versäumt hatte, das Leben des Flusses zu schützen, das letztlich ihr eigenes Leben ist. Das Urteil des Verfassungsgerichts zu Gunsten der Gemeinden schuf die Figur der Wächter des Atrato-Flusses. Eine Strategie, die darauf abzielt, die ethnischen Organisationen der Region mit den staatlichen Institutionen unter der Leitung des Umweltministeriums zusammenzubringen. Gemeinsam arbeiten sie daran, das Leben des Flusses wiederherzustellen und zu schützen.
Das Klimabündnis Vorarlberg unterstützt diesen Prozess seit mehr als sechs Jahren. Seit 2020 konzentriert sie ihre Bemühungen auf die Unterstützung der Gruppe junger interethnischer Führer:innen, der Wächter des Atrato-Flusses. Eine Gruppe von 15 jungen Männern und Frauen (Indigene, Afro- und Mestizen), die mit anderen Jugendlichen entlang des Flussbeckens Umwelt-, Kultur- und Ausbildungsprozesse durchführen.
Vom 30. August bis zum 4. September dieses Jahres fand das Atrato Fest statt, ein Festival, das die Atrato Flusswächtergruppe in vollem Umfang leitet und entlang des Flusses entwickelt.
Maryury Mosquera aus dem Team des Technischen Sekretariats der Wächter erzählt uns davon:
„Das Atrato-Fest ist eine Strategie zur Verbreitung, Aufklärung und Sichtbarkeit des Atrato-Flussurteils. Wir organisieren es seit drei Jahren, um in den Atrato-Gemeinden und im gesamten Chocó das Bewusstsein für den Fluss und seinen Schutz zu verbreiten und zu stärken. Wir erklären auch die verschiedenen juristischen Elemente dieser Rechtssprechung, um unseren Atrato wiederherzustellen und zu schützen.
Die jungen Flusswächter:innen waren sowohl an der Entwicklung der Strategie als auch an ihrer Umsetzung beteiligt. Sie entwickelten pädagogische, ökologische und kulturelle Aktivitäten in den Gemeinden und mit den Gemeinschaften, in denen sie leben. So gab es unter anderem parallele Aktivitäten in Carmen de Atrato, Quibdó, San Isidro, Bagadó, Rio Sucio, Dona Josefa, Curvaradó, Villa Conto...”